Ausgabe 1/2023

Zurück zu unserer Website

Schwegler Anwälte Logo

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,


§ 99 BetrVG gibt dem Betriebsrat bei den aufgeführten personellen Einzelmaßnahmen ein Mitbestimmungsrecht in Form eines Zustimmungserfordernisses vor Durchführung dieser Maßnahmen. Wir nehmen eine aktuelle Entscheidung des BAG zur Rechtzeitigkeit der Unterrichtung zum Anlass, in der Rubrik „Ein-Blick“ darzustellen, welche Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Zustimmungsersuchen zu stellen sind und welche Reaktionsmöglichkeiten die Betriebsparteien haben.

Der 6. Strafsenat des BGH hat sich im Rahmen eines Untreueprozesses gegen Manager des VW-Konzerns zur Vergütung von Betriebsräten geäußert und ausführlich dargelegt, welche Kriterien für die Bezahlung von langjährigen Betriebsratsmitgliedern – seiner Ansicht nach – nicht herangezogen werden dürfen. Diese, von jahrelanger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte abweichende Entscheidung, stellen wir in der Rubrik „Betriebsräte“ vor und ordnen diese rechtlich ein.

In der Rubrik „Arbeitnehmer“ befassen wir uns mit einem Urteil des LAG Schleswig-Holstein. Das Gericht hatte die Fragen zu klären, ob Arbeitnehmer in ihrer Freizeit für den Arbeitgeber erreichbar sein müssen und Arbeitgeber daher davon ausgehen dürfen, dass Arbeitnehmer in ihrer Freizeit dienstliche Nachrichten lesen.

Neben den oben genannten Entscheidungen haben wir weitere praxisrelevante Gerichtsentscheidungen zum Individual- wie auch zum Kollektivarbeitsrecht in Kurzform aufbereitet. 

Bitte Termin vormerken:
Nach dreijähriger coronabedingter Pause werden wir im Herbst wieder unser Kanzleigespräch in Frankfurt am Main durchführen. Dieses wird am Dienstag, dem 26.09.2023 stattfinden. 
Schwerpunktthemen sind Betriebsratsvergütungsowie Aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung im Betriebsverfassungsrecht. Nähere Informationen auch zur Anmeldung folgen dann im nächsten Newsletter. Wie immer handelt es sich um eine kostenlose Veranstaltung. Wir freuen uns, Sie/euch wieder zahlreich in Frankfurt am Main begrüßen zu können.

Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre des Newsletters.

Eure/Ihre
schwegler rechtsanwälte

Inhalt

Ein-Blick

Die Anforderungen an das ordnungsgemäße Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers bei personellen Maßnahmen nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gegenüber dem Betriebsrat
lesen ➔

Betriebsräte

Betriebsratsvergütung
lesen ➔

Betriebsräte

Kurzüberblick über Entscheidungen

  • Beendigung alternierender Telearbeit 

  • Fahrtkostenerstattung für Betriebsratsmitglied im Home-Office

  • Anspruch des Betriebsrats auf Tablets oder Laptops zur Abhaltung von Betriebsratssitzungen in Form von Videokonferenzen

  • Keine Bestellung der Einigungsstelle, wenn der Arbeitgeber einer Beschwerde vorsorglich abgeholfen hat

lesen ➔

Arbeitnehmer

Das Recht auf Unerreichbarkeit: Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, dienstliche SMS in ihrer Freizeit zu lesen
lesen ➔

Arbeitnehmer

Kurzüberblick über Entscheidungen

  • Unterschiedliche Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit können zulässig sein

  • Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen: Verhandlungsgeschick allein ist kein Differenzierungsgrund

  • Urlaubsabgeltung unterliegt Verjährungs- und Ausschlussfristen 

lesen ➔

Veröffentlichungen

lesen ➔

Impressum

lesen ➔

Ein-Blick

Die Anforderungen an das ordnungsgemäße Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers bei personellen Maßnahmen nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gegenüber dem Betriebsrat

dazu BAG, Beschluss vom 11.10.2022 – 1 ABR 18/21


I. Einleitung

Die Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen nach den §§ 99 ff. BetrVG gehört für jeden Betriebsrat zum „Tagesgeschäft“. Dies liegt darin begründet, dass die in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG angesprochenen, vier personellen Maßnahmen – Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung – praktisch ständig im Betrieb umgesetzt werden müssen. Daher lohnt es sich, sich die wichtigsten Grundlagen der Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen in Erinnerung zu rufen.

Vor dem Hintergrund einer aktuellen Entscheidung des ersten Senats des BAG beleuchtet dieser Beitrag näher, welche Voraussetzungen an ein ordnungsgemäßes Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers zu stellen sind. In diesem Zusammenhang werden auch die Grundlagen des Verfahrens nach den §§ 99 ff. BetrVG näher dargestellt.


II. Rechtliche Einordnung

Zunächst sind zum besseren Verständnis die wesentlichen Voraussetzungen eines Unterrichtungsrechts des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Grunde nach zu erörtern (dazu unter 1.). Sodann wird anhand der aktuellen Rechtsprechung des BAG dargestellt, welchen Anforderungen er bei der Unterrichtung genügen muss (dazu unter 2.).

1.
Der Arbeitgeber hat bei personellen Maßnahmen gegenüber Arbeitnehmern des Betriebs die Mitbestimmung des Betriebsrats zu beachten, wenn im Unternehmen (nicht: im Betrieb) in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Für leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3, 4 BetrVG gelten die Regelungen der §§ 99 ff. BetrVG mangels Arbeitnehmerstatus nicht. Bezüglich dieser Personen hat der Arbeitgeber den Betriebsrat aber nach § 105 BetrVG bei Einstellungen oder personellen Veränderungen zu unterrichten – dies ist zuweilen unbekannt.

Zudem muss eine der vier in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten, personellen Maßnahmen einschlägig sein, wobei in der Praxis Einstellungen und Versetzungen die wichtigsten Fälle bilden. Während die Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Gesetz definiert wird, gilt dies leider nicht für die Einstellung. Das BAG stellt hierfür nunmehr in ständiger Rechtsprechung auf die tatsächliche Eingliederung eines Arbeitnehmers in den Betrieb, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen, ab –die vertragliche Lage ist nicht entscheidend (BAG vom 27.07.1993 – 1 ABR 7/93).

Sind die zuvor genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG vor Durchführung der personellen Maßnahme ordnungsgemäß unterrichten. 

2. 
Aber was bedeutet eine ordnungsgemäße Unterrichtung? In der Praxis wird hier in den Betrieben unterschiedlich verfahren: während mancher Betriebsrat sich mit einem einzigen Formblatt nebst dürren Informationen begnügen soll, erhalten andere Betriebsräte zahlreiche Unterlagen. 

Zunächst ist für die Unterrichtung im Gesetz keine bestimmte Form vorgeschrieben, es reicht grundsätzlich eine mündliche Unterrichtung aus. Schon aus Beweisgründen wird der Arbeitgeber die Unterrichtung aber regelmäßig zumindest in Textform erteilen. 

Die Unterrichtung muss die in § 99 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG genannten Pflichtangaben enthalten. In der Sache muss der Arbeitgeber die genauen Personalien, den Zeitpunkt der Maßnahme und alle persönlichen Tatsachen über den Bewerber oder Arbeitnehmer, die den Betriebsrat zur Zustimmungsverweigerung berechtigen könnten, angeben. Dazu gehören alle Umstände über die fachliche und persönliche Eignung für den vorgesehenen Arbeitsplatz, sowie die voraussichtlichen Auswirkungen der geplanten Maßnahme. Soweit Einstellungen oder Versetzungen in Rede stehen, sind der in Aussicht genommene Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen.

Speziell bei der Einstellung ist aber nicht nur über die Person des einzustellenden Bewerbers, sondern auch über diejenigen Bewerber, deren Bewerbung erfolglos geblieben ist, zu unterrichten (BAG vom 19.05.1981 – 1 ABR 109/78). Im Falle der Einschaltung eines Personalberatungsunternehmens muss der Arbeitgeber nur über diejenigen Bewerberinnen und Bewerber informieren, die ihm das Personalberatungsunternehmen genannt hat (BAG vom 18.12.1990 – 1 ABR 15/90). 

3.
Aktuell hatte das BAG sich mit einem Fall zu beschäftigen, in dem der Arbeitgeber eine Versetzung ohne ordnungsgemäße Anhörung vorgenommen hatte (BAG vom 11.10.2022 – 1 ABR 18/21). Diese Versetzung sollte zum 25.05.2018 wirken. Hier hatte der Betriebsrat richtigerweise mit einem Aufhebungsantrag nach § 101 Satz 1 BetrVG reagiert, dem das zustände Arbeitsgericht mit Beschluss vom 13.06.2019 auch stattgab. Gegen den Beschluss ergriff der Arbeitgeber das Rechtsmittel der Beschwerde, teilte dem Betriebsrat dann am 10.01.2020 aber mit, man nehme die Versetzung des betroffenen Arbeitnehmers zurück. Daraufhin wurde das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. 

Ebenfalls am 10.01.2020 richtete der Arbeitgeber an den Betriebsrat bezüglich der Versetzung desselben Arbeitnehmers eine erneute Anhörung. Dieser Anhörung verweigerte der Betriebsrat mit Beschluss vom 14.01.2020 seine Zustimmung. Nunmehr leitete der Arbeitgeber ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG ein und argumentierte, das Zustimmungsersuchen vom 10.01.2020 betreffe eine andere (!) personelle Maßnahme als jene aus dem Jahr 2018. Die Versetzung nahm der Arbeitgeber in tatsächlicher Hinsicht zu keinem Zeitpunkt zurück.

Der erste Senat des BAG folgte den Argumenten des Arbeitgebers nicht und wertete den (neuen) Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers als zulässig, aber in der Sache unbegründet. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Arbeitgeber das Zustimmungsverfahren mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht wirksam eingeleitet habe. Schon nach dem Wortlaut der Regelung habe die Anhörung „vor“ der Durchführung der personellen Maßnahme zu erfolgen. Zudem solle der Betriebsrat um seine Zustimmung zur „geplanten“ Maßnahme ersucht werden. Da die Arbeitgeberin zuvor aber bereits die Versetzung des Arbeitnehmers zum 25.05.2018 endgültig umgesetzt habe, seien die im Gesetz genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. 

Daran änderte sich auch nichts dadurch, dass der Arbeitgeber unter dem 10.01.2020 erklärt habe, an der Maßnahme aus 2018 nicht festhalten zu wollen und ebenfalls unter dem 10.01.2020 ein neues Zustimmungsersuchen an den Betriebsrat richtete. Denn in der Sache habe der Arbeitgeber die Versetzung faktisch durchweg aufrechterhalten. Für den Erfolg des neuen Zustimmungsersetzungsverfahrens hätte der Arbeitgeber die ursprüngliche Versetzung zunächst tatsächlich aufheben müssen. Sodann hätte er eine neue Anhörung, dann eine neue Durchführung der Maßnahme anstreben können.

Für die Praxis heißt das, dass der Arbeitgeber eine ohne ordnungsgemäße Anhörung durchgeführte Maßnahme nicht schlicht mit einer neuen Anhörung legalisieren kann. Erforderlich ist vielmehr, dass er in diesem Fall die ursprüngliche Maßnahme aufhebt, um sodann erst einmal die Stellungnahme des Betriebsrats einzuholen.


III. Hinweise für die Praxis

Das Verfahren nach den §§ 99 ff. BetrVG ist in der Praxis durchaus mit verschiedenen Problemen behaftet, die nachfolgend dargestellt werden, um einen besseren Überblick zu ermöglichen.

1.
So kann es vorkommen, dass der Arbeitgeber trotz bestehender Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat eine personelle Maßnahme gleichwohl ohne dessen Beteiligung durchführt. Für diesen Fall kann (und sollte) der Betriebsrat beim zuständigen Arbeitsgericht einen Aufhebungsantrag nach § 101 Satz 1 BetrVG stellen. Hat er damit Erfolg, muss der Arbeitgeber die durchgeführte Maßnahme aufheben und sieht sich bei Zuwiderhandlungen einem Zwangsgeld nach § 101 Satz 2 BetrVG ausgesetzt. 

Einen allgemeinen Unterlassungsanspruch (der auch durch einstweilige Verfügung durchgesetzt werden könnte!) gesteht das BAG dem Betriebsrat an dieser Stelle leider nicht zu (vgl. BAG vom 23.06.2009 – 1 ABR 23/08). Hauptargument: Das Verfahren nach § 101 BetrVG sei als gesetzliche Spezialregelung abschließend. Im Einzelfall kann aber ein Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG bei groben Pflichtverletzungen in Betracht kommen – dies kann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat entgegen § 99 Abs. 1 BetrVG wiederholt Informationen vorenthält.

2.
Hält der Arbeitgeber die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein, so beginnt nach § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eine einwöchige Frist für den Betriebsrat zu laufen, innerhalb derer er der konkreten personellen Maßnahme unter Bezugnahme auf einen der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründe die Zustimmung verweigern kann. Äußert sich der Betriebsrat nicht innerhalb der Frist, gilt seine Zustimmung nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt. Gleiches gilt, wenn der Beschluss bezüglich der Zustimmungsverweigerung nicht ordnungsgemäß gefasst wurde – insofern ist die ordnungsgemäße Beschlussfassung hier besonders wichtig!

Im Einzelnen gilt: es sind nur die sechs in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründe relevant. Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert, muss er konkret mit Bezug auf wenigstens einen dieser Gründe anführen, warum er der personellen Maßnahme die Zustimmung verweigern will. Hier passieren in der Praxis zahlreiche Fehler, die man vermeiden kann und sollte:

  • Es wird nur formelhaft ohne konkreten Sachverhalt auf einen oder mehrere Zustimmungsverweigerungsgründe abgestellt.

  • Es gibt konkrete Zustimmungsverweigerungsgründe, diese werden in der Stellungnahme des Betriebsrats aber nicht genannt.

  • Der wesentliche Sachverhalt wird zu knapp dargestellt.

Im Kern ausreichend ist eine Begründung dann, wenn sie es als möglich erscheinen lässt, dass ein gesetzlicher Zustimmungsverweigerungsgrund geltend gemacht wird, ohne dass ausdrücklich auf eine der Nummern des § 99 Abs. 2 BetrVG Bezug genommen wird (BAG vom 26.01.1988 – 1 AZR 531/86). Im Zweifel empfiehlt es sich, juristische Beratung bei der Abfassung einer Zustimmungsverweigerung in Anspruch zu nehmen.

3.
Sofern der Betriebsrat vom Arbeitgeber ordnungsgemäß unterrichtet wurde und der Betriebsrat ebenso ordnungsgemäß seine Zustimmung verweigert hat, muss der Arbeitgeber das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG beim zuständigen Arbeitsgericht einleiten. Hat der Antrag des Arbeitgebers Erfolg, wird die fehlende Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Andernfalls muss der Arbeitgeber die personelle Maßnahme rückgängig machen – äußerstenfalls durch eine Kündigung des Arbeitnehmers.

In der Praxis nimmt dieses Zustimmungsersetzungsverfahren einige Zeit in Anspruch. Gerade bei Einstellungen kann und will der Arbeitgeber aber oftmals nicht diese gerichtliche Entscheidung abwarten. Das Gesetz ermöglicht ihm hier, nach § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die personelle Maßnahme, wenn sie aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, vorläufig durchführen. Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat hiervon unverzüglich zu unterrichten und kann (und sollte) seinerseits mit ordnungsgemäßem Beschluss unverzüglich (maximal drei Tage ab Unterrichtung) das Vorliegen solcher Gründe mit konkreten Gesichtspunkten bestreiten (§ 100 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Ist Letzteres geschehen, muss der Arbeitgeber nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG innerhalb von drei Tagen ab Zugang der Stellungnahme des Betriebsrats beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats und die Feststellung beantragt, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war. In der Praxis werden denn auch beide Anträge regelmäßig gemeinsam beim Arbeitsgericht gestellt und entschieden.

Für ein entsprechendes, gerichtliches Beschlussverfahren hat der Betriebsrat gegen den Arbeitgeber regelmäßig Anspruch auf Kostenübernahme nach § 40 Abs. 1 BetrVG für die Prozessvertretung durch einen Rechtsanwalt.


IV. Fazit

Betriebsräte sind für die praktische Anwendung der §§ 99 ff. BetrVG gut aufgestellt, wenn sie nicht nur eigene, formale Fehler bei ihrer Stellungnahme vermeiden, sondern sich darüber hinaus auch den groben Ablauf des Mitbestimmungsverfahrens bei personellen Maßnahmen vor Augen führen.

Christian Mertens, Düsseldorf

Christian Mertens

Düsseldorf

Mehr zur Person

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲

Betriebsräte

Betriebsratsvergütung

BGH, Urteil vom 10. Januar 2023 - 6 StR 133/22


Der Beitrag beschäftigt sich mit einem aktuellen Urteil, in welchem sich der Bundesgerichtshof (BGH) in Strafsachen mit der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern auseinanderzusetzen hatte.


I.    Sachverhalt

Angeklagt waren Vorstandsmitglieder bzw. Personalleiter eines Automobilherstellers, die in Verdacht standen, mehreren Betriebsräten unzulässig hohe Arbeitsentgelte gewährt und damit den Straftatbestand der Untreue (§ 266 StGB) verwirklicht zu haben. Den Betriebsratsmitgliedern waren monatliche Entgeltzahlungen von bis zu 17.000 EUR brutto und jährliche freiwillige Bonuszahlungen von bis zu 560.000 EUR brutto gezahlt worden. Begründet wurde diese Vergütungsentwicklung u.a. damit, dass die betreffenden Betriebsräte nach ihrer Amtsübernahme die unternehmenseigene Managementprüfung bestanden und ihnen Angebote zum Wechsel in entsprechende Positionen unterbreitet worden seien. Sie seien in unternehmerische Entscheidungen eingebunden gewesen, hätten komplexe Aufgaben wahrgenommen und in der Zusammenarbeit vergütungsrelevante, überdurchschnittliche Leistungen gezeigt. Die Angeklagten hatten sich dabei auf die Einschätzungen der Berater verlassen, denen zufolge die Vergütung rechtmäßig sei. Aus diesem Grund hatte das Landgericht Braunschweig die Angeklagten mangels Vorsatzes freigesprochen.


II.    Entscheidung 

Nach der Begründung des BGH schließe die gesetzliche Regelung des § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke aus. Das gelte auch für im Betriebsratsamt erworbene Qualifikationen, soweit diese nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stehen. Es verbiete sich, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere abzustellen. Vergleichbar sei nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt habe und dafür in gleicher Weise wie der Betriebsrat fachlich und persönlich qualifiziert war. Üblich sei eine Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen habe. Diese Regeln gelten nach dem BGH auch für Beförderungen. Ein Aufstieg sei insbesondere nur dann betriebsüblich, wenn die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht habe. Die Zahlung einer höheren Vergütung setze voraus, dass der Betriebsrat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen sei. Darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstoßen nach dem BGH gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG.

Allerdings stellt der BGH in seiner Entscheidung klar, dass der vom Landgericht ermittelte Sachverhalt unzureichend sei, insbesondere im Hinblick auf die innerbetrieblichen Kriterien für den Aufstieg in höhere Managementkreise und die Bemessung von Bonuszahlungen. Aus diesem Grund konnte vom BGH nicht abschließend beurteilt werden, ob die Bewilligung der Arbeitsentgelte den konkretisierten betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht.

Im Ergebnis wurde das Urteil des Landgerichts Braunschweig aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dabei wird das Landgericht die vom BGH aufgestellten Grundsätze zu beachten haben.


III. Einordnung

Das Gesetz verbietet auch bei der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern deren Benachteiligung oder Begünstigung wegen ihrer Betriebsratstätigkeit durch den Arbeitgeber (§ 78 Satz 2 BetrVG). Gegen Benachteiligungen bei der beruflichen Entwicklung, insbesondere bei Tätigkeit, Qualifizierung und Vergütung, durch den betriebsverfassungsrechtlichen Gegenspieler hat der Gesetzgeber in § 37 Abs. 5 BetrVG (Tätigkeit), § 38 Abs. 4 BetrVG (Qualifizierung) und § 37 Abs. 4 BetrVG (Vergütung) Vorschriften zum Schutz normiert. Die Vergütung und deren Entwicklung darf nach dem Wortlaut des Gesetzes „nicht geringer“ sein als bei nach Tätigkeit, Qualifikation und Potenzial zum Zeitpunkt der Amtsübernahme mit ihnen vergleichbaren Arbeitnehmern.

Dieser gesetzliche Wortlaut macht deutlich, dass die dort definierte Untergrenze nicht zugleich die Obergrenze für die Vergütung sein soll. Offenkundig wird das im Hinblick auf lediglich nach Bedarf gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG oder nur zum Teil freigestellten Betriebsratsmitgliedern. Denn bei ihnen kann die Weiterentwicklung der ihnen übertragenen beruflichen Tätigkeiten und eine damit verbundene Höhergruppierung auf Grund der von ihnen beruflich erbrachten Leistungen offensichtlich über die Entwicklung der früher mit ihnen vergleichbaren Arbeitnehmer hinausgehen. Ein am – missverstandenen – Wortlaut des § 37 Abs. 4 BetrVG klebendes Einfrieren ihrer Gehälter auf das Niveau bei Amtsbeginn festgelegter Vergleichspersonen würde für sie im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG eine widersinnige Benachteiligung darstellen.

Dieser Bezug auf die neben der Betriebsratstätigkeit ausgeübte berufliche Funktion lässt sich bei der Minderheit der vollständig freigestellten Betriebsratsmitglieder nicht herstellen. Folgt man den Begründungen des BGH, so würde die für alle Betriebsratsmitglieder geltende Untergrenze des § 37 Abs. 4 BetrVG damit allein für die vollständig freigestellten Betriebsratsmitglieder zugleich zur Obergrenze der Vergütung. Die vollständige Freistellung wäre danach mit dem Verlust der Chance auf eine überdurchschnittliche individuelle Entwicklung sowohl hinsichtlich der beruflichen Karriere als auch der Vergütung verbunden. Zur Vermeidung einer derartigen Benachteiligung hat das BAG auch über den Mindestschutz des § 37 Abs. 4 BetrVG hinausgehende Vergütungen in solchen Einzelfällen als nicht bevorzugend, sondern angemessen bewertet, bei der als Maßstab auf eine belegbare und dokumentierte potenzielle berufliche Tätigkeit nach Beendigung der Freistellung abgestellt wurde.


IV. Zusammenfassung und Ausblick

Die strafrechtliche Sanktionsnorm des § 266 StGB kommt allein im Falle von Begünstigungen zur Anwendung und richtet sich dann allein gegen die für die Vergütungsentscheidung zuständigen Vertreter des Unternehmens. Abgesehen von dem in der bisherigen Praxis leider stumpf gebliebenen Schwert des § 119 BetrVG, der sowohl Benachteiligungen als auch Begünstigungen unter Strafe stellt, gibt es keine mit § 266 StGB vergleichbare einseitige Sanktionsnorm zur Vermeidung von Benachteiligungen. Das damit ohnehin asymmetrische Risiko für Arbeitgeber-Repräsentanten und deren daraus in der betrieblichen Praxis überwiegend folgende Tendenz, eher das Risiko einer – überdies kostengünstigeren – Benachteiligung als das einer aufwändigeren Bevorzugung einzugehen, wird durch die jetzt vom BGH vorgegebene Leitlinie, die bisher bestehende und praktizierte Bandbreite weder bevorzugender noch benachteiligender Regelungen für vollständig freigestellte Mitglieder von Betriebsräten auf die untere Haltelinie des § 37 Abs. 4 BetrVG zu reduzieren, in bedenklicher Weise verstärkt. Entsprechend gibt es bereits Ankündigungen einzelner Unternehmen, bisher praktizierte Vergütungen vollständig freigestellter Betriebsratsmitglieder nach den Maßstäben des BGH zu überprüfen und ggf. abzusenken. Die sich daraus ergebende Konsequenz für die mit einer vollständigen Freistellung verbundene berufliche Lebensplanung von Betriebsratsmitgliedern begründet die konkrete Gefahr einer qualitativen Schwächung der Betriebsverfassung und der Repräsentation der Beschäftigten. Dagegen wird sich in entsprechenden Einzelfällen jetzt eine kritische Bewertung im Lichte der bisherigen arbeitsgerichtlichen Praxis und danach ggf. die Durchführung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtmäßigkeit von Gehaltsabsenkungen lohnen, sofern diese unter Bezug auf die Entscheidung des BGH und unter Abweichung von der Praxis nach der bisherigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit vorgenommen werden. Auf diesem Wege könnte dann auch eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe herbeigeführt werden, die der BGH durch seinen restriktiven Alleingang leider versäumt hat.

Dr. Nicolai Culik, Berlin

Lorenz Schwegler

Düsseldorf

Mehr zur Person

Dr. Nicolai Culik, Berlin

Dr. Nicolai Culik

Berlin

Mehr zur Person

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲

Betriebsräte


Beendigung alternierender Telearbeit 
BAG, Beschluss vom 20.10.2021 – 7 ABR 34/20, NZA 2022, 494

Soll ein Arbeitnehmer, der bislang im Rahmen einer Beschäftigung in alternierender Telearbeit weit überwiegend an einem vom Arbeitgeber eingerichteten häuslichen Arbeitsplatz tätig war, wieder ausschließlich an der Betriebsstätte eingesetzt werden, liegt darin regelmäßig eine beteiligungspflichtige Versetzung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG. Eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG liegt nämlich schon dann vor, wenn dem einzelnen Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsort zugewiesen wird, ohne dass sich seine Arbeitsaufgabe ändert oder er in eine andere organisatorische Einheit eingegliedert wird. Die Beendigung der alternierenden Telearbeit und eine ausschließliche Beschäftigung an der Betriebsstätte des Arbeitgebers ist mit einem dauerhaften Wechsel des regelmäßigen Arbeitsortes verbunden und demzufolge als Versetzung anzusehen. 


Fahrtkostenerstattung für Betriebsratsmitglied im Home-Office
LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26.7.2022 – 2 TaBV 8/22

Wird durch eine Betriebsvereinbarung mobiles Arbeiten ermöglicht und fährt ein Betriebsratsmitglied vom häuslichen Arbeitsort zu den Sitzungsorten einer Einigungsstelle in die Betriebsräume, handelt es sich nicht um Fahrtkosten zur Arbeit, die vom Arbeitgeber grundsätzlich nicht zu erstatten sind, sondern um Kosten iSv Auslagen der Einigungsstelle, die der Arbeitgeber nach § 76 a BetrVG zu tragen hat. Der Erstattungsanspruch besteht, weil das Betriebsratsmitglied an den Tagen, an denen die Einigungsstelle im Betrieb getagt hat, ohne die Einigungsstellensitzungen im Home-Office gearbeitet und den Arbeitsweg in den Betrieb nicht unternommen hätte. Die Teilnahme an den Sitzungen der Einigungsstelle ist keine Arbeitsleistung.


Anspruch des Betriebsrats auf Tablets oder Laptops zur Abhaltung von Betriebsratssitzungen in Form von Videokonferenzen
LAG Hessen, Beschluss vom 14.03.2022 – 16 TaBV 143/21

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber zur Ermöglichung der Teilnahme seiner Mitglieder an Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz die dauerhafte Überlassung von je einem Tablet oder Notebook je Betriebsratsmitglied verlangen, sofern die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BetrVG vorliegen. Denn wenn sich der Betriebsrat in seiner Geschäftsordnung für die Möglichkeit der Durchführung von Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz entschieden hat, hat der Arbeitgeber ihm nach § 40 Abs. 2 BetrVG die dafür erforderliche Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung zu stellen. Einen bestimmten Gerätetyp kann der Betriebsrat nicht verlangen, sondern nur eine Ausstattung im Rahmen des Erforderlichen beanspruchen. Das bedeutet, die Tablets oder Notebooks müssen technisch für die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz geeignet sein, wozu insbesondere das Vorhandensein einer Kamera gehört. 


Keine Bestellung der Einigungsstelle, wenn der Arbeitgeber einer Beschwerde vorsorglich abgeholfen hat
LAG Hessen, Beschluss vom 17.12.2019 – 4 TaBV 136/19

Legt ein Arbeitnehmer Beschwerde wegen Benachteiligung nach § 84 BetrVG ein und hilft der Arbeitgeber dieser Beschwerde vorsorglich ab, obwohl er sie für nicht begründet hält oder an ihrer Berechtigung zweifelt, kann der Betriebsrat nicht nach § 85 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle anrufen. Denn das Einigungsstellenverfahren dient nicht einer abstrakten Sachverhaltsaufklärung, sondern dazu, zu entscheiden, ob der Arbeitgeber anlässlich einer berechtigten Beschwerde Abhilfemaßnahmen zu ergreifen hat. Tat der Arbeitgeber dies bereits vorsorglich, wäre ein Einigungsstellenverfahren demnach ohne Sinn.

Ariane Mandalka, Frankfurt

Ariane Mandalka

Frankfurt/Main

Mehr zur Person

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲

Arbeitnehmer

Das Recht auf Unerreichbarkeit: Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, dienstliche SMS in ihrer Freizeit zu lesen

LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22


I. Leitsatz

„Ein Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er ist auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese erst bei Dienstbeginn zu.“


II. Sachverhalt

Die Frage der Erreichbarkeit wurde im Rahmen eines Rechtsstreits über den Stand des Arbeitszeitkontos des klagenden Arbeitnehmers entschieden. Die Arbeitgeberin führt einen Rettungsdienst, bei dem der Arbeitnehmer als Notfallsanitäter im Ort B. eingesetzt ist. Im Betrieb der Arbeitgeberin gibt es eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitgrundsätze bzgl. des Einsatzdienstes. In dieser ist geregelt, dass sog. Springerdienste im Dienstplan unkonkret, das bedeutet ohne konkrete Schichtzuteilung, eingeplant werden können. Unkonkret zugeteilte Springerdienste können für Tag- oder Spätdienste bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Falls eine Konkretisierung nicht erfolgt, müssen die eingeplanten Arbeitnehmer telefonisch um 7:30 Uhr ihre Einsatzfähigkeit mitteilen. 

Der Dienst des klagenden Arbeitnehmers endete am 06.04.2021 um 19:00 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt war für ihn ein freier Tag am 07.04.2021 und ein unkonkreter Springerdienst am 08.04.2021 geplant. Die Arbeitgeberin teilte den Arbeitnehmer am 07.04.2021 für den 08.04.2021 zu einem Dienst in der Tagschicht ab 6:00 Uhr ein, versuchte ihn vergeblich telefonisch zu erreichen und sendete ihm eine SMS, um ihn über die Einteilung zu informieren. Der Arbeitnehmer zeigte am 08.04.2021 um 7:30 Uhr telefonisch seine Einsatzbereitschaft an. Die Arbeitgeberin bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen. 

Ähnliches ereignete sich bezüglich eines Springerdienstes am 15.09.2021. Auch hier konkretisierte die Arbeitgeberin am vorherigen Tag, der für den Arbeitnehmer arbeitsfrei war, den Springerdienst auf einen Tagdienst ab 6:30 Uhr am Arbeitsort P. und teilte dies per SMS sowie per E-Mail mit. Am 15.09.2021 zeigte der Arbeitnehmer seine Arbeitsbereitschaft um 7:30 Uhr telefonisch an. Die Arbeitgeberin forderte ihn zur sofortigen Arbeitsaufnahme am Ort P. auf, an dem der Arbeitnehmer um 8:26 Uhr eintraf. Die Zeit von 6:30 Uhr bis 8:26 Uhr rechnete die Arbeitgeberin nicht als Arbeitszeit an. 


III. Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein erkannte einen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers an, da die Arbeitgeberin für den Dienst am 08.04.2021 Annahmeverzugslohn habe zahlen müssen. Annahmeverzugslohn entstehe dann, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in eigener Person zur rechten Zeit am rechten Ort und in rechter Weise angeboten habe. Dies habe der Arbeitnehmer durch telefonische Mitteilung der Einsatzfähigkeit um 7:30 Uhr getan. 

Die Arbeitgeberin habe den ursprünglich geplanten unkonkreten Springerdienst vorher nicht durch Ausübung ihres Direktionsrechts konkretisiert, da die Dienstplanänderung vom 07.04.2021 dem Arbeitnehmer nicht zugegangen und deswegen nicht wirksam geworden sei. Zwar habe die Arbeitgeberin am selben Tage eine Mitteilung mittels SMS gesendet, allerdings habe sie nicht davon ausgehen können, dass der Arbeitnehmer diese SMS vor 7:30 Uhr des folgenden Tages lese. Eine vorherige Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer sei deshalb nicht zu erwarten gewesen, weil dieser nicht verpflichtet sei, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen. Beim Lesen der dienstlichen SMS handele es sich nämlich um Arbeitszeit. In seiner Freizeit stehe dem Arbeitnehmer das Recht auf Unerreichbarkeit zu. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum der Arbeitgeberin nicht zur Verfügung stehen müsse und selbstbestimmt entscheiden könne, wie und wo er seine Freizeit verbringt. Es bestehe auch keine Nebenpflicht für den Arbeitnehmer, sich in seiner Freizeit nach seinen Dienstzeiten zu erkundigen. 

Außerdem entschied das LAG Schleswig-Holstein mit ähnlicher Begründung, dass dem Arbeitnehmer auch die Arbeitszeit am 15.09.2021 von 6:30 Uhr bis 8:26 Uhr gutgeschrieben werden müsse. Hier stützt das LAG den Anspruch allerdings auf Schadensersatz. Die Arbeitgeberin habe die Rücksichtnahmepflicht, darauf zu achten, dass dem Arbeitnehmer seine Dienstzeit so rechtzeitig mitgeteilt wird, dass er den Arbeitsort noch pünktlich aufsuchen kann. Diese Pflicht habe die Arbeitgeberin dadurch verletzt, dass sie dem Arbeitnehmer um 7:30 Uhr mitgeteilt habe, er müssen den Arbeitsort nun sofort aufsuchen. 


IV. Praxisrelevanz

Immer wieder kommt es im Arbeitsverhältnis zu Unklarheiten, welche (dienstlichen) Pflichten der Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit zu erfüllen hat. Das LAG Schleswig-Holstein hat nun mit seinem Urteil eine davon geklärt. Die Frage, ob der Arbeitnehmer die Weisung der Arbeitgeberin hätte befolgen müssen, wenn er die SMS tatsächlich gelesen hätte, hat es allerdings offengelassen. Das Urteil entscheidet also nur zugunsten der Arbeitnehmer, dass sie grundsätzlich nicht dazu verpflichtet sind, dienstliche SMS während der Freizeit zu lesen. Tun sie dies doch, ist bisher nicht entschieden, ob sie die darin enthaltene Weisung auch befolgen müssen. 

Gegen das Urteil des LAG Schleswig-Holstein ist die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Die Revision bleibt abzuwarten.

Christina Neumann, Düsseldorf

Christina Neumann, LL.M.

Düsseldorf

Mehr zur Person

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲

Arbeitnehmer


Unterschiedliche Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit können zulässig sein
BAG, Urteil vom 22.02.2023 – 10 AZR 332/20

Zahlreiche Tarifverträge sehen für regelmäßige Nachtarbeit geringere Zuschläge vor als für unregelmäßige Nachtarbeit. Das BAG hat in dieser Entscheidung, wie auch weiteren Parallelverfahren, klargestellt, dass tarifvertragliche Regelungen, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsehen als für regelmäßige Nachtarbeit, nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, sofern ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung besteht. Voraussetzung ist aber, dass dieser Grund aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Im Falle der Nachtzuschläge wurde dieser Grund bejaht, wenn mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit (im Vergleich zu regelmäßiger Nachtarbeit) eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen. 


Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen: Verhandlungsgeschick allein ist kein Differenzierungsgrund
BAG, Urteil vom 16.02.2023 – 8 AZR 450/21

Zahlt ein Arbeitgeber für gleiche oder gleichwertige Arbeit an männliche Kollegen eine höhere Vergütung, so hat eine Frau Anspruch auf das gleiche Entgelt. Das niedrigere Gehalt für gleiche Arbeit begründet laut BAG die (allerdings widerlegbare) Vermutung nach § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Hinsichtlich der Frage, was ein zulässiger Grund für eine Ungleichbehandlung ist, hat das BAG zudem klargestellt, dass das Verhandlungsgeschick in Gehaltsgesprächen – so die Argumentation des Unternehmens und auch der Vorinstanzen – allein keine Differenzierung rechtfertigt. 


Urlaubsabgeltung unterliegt Verjährungs- und Ausschlussfristen 
BAG, Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 244/20 und
BAG, Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 456/20

Nach der Rechtsprechung des EuGH verfällt ein Urlaubsanspruch nicht, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungs- und Unterrichtungspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommt (siehe Einblick im Newsletter 04/2022). Dies gilt aber laut BAG regelmäßig nicht für den Abgeltungsanspruch. Das BAG hat klargestellt, dass es sich beim Abgeltungsanspruch um einen reinen Geldanspruch handelt, der sowohl einer tariflichen Ausschlussfrist als auch der regulären Verjährungsfrist unterliegen kann. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist, anders als der Urlaubsanspruch, nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet daher mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Anna-Lena Trümner, Oldenburg

Anna-Lena Trümner

Oldenburg

Mehr zur Person

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲

Veröffentlichungen


Ariane Mandalka
VG Neustadt a.d. Weinstraße: Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines Schwerbehinderten – Prüfung eines atypischen Falls
in: ArbRAktuell 2023, S. 108


Dr. Lars Weinbrenner 
OVG Münster: Beteiligung bei Zuweisung an gemeinsame Einrichtung
in: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2023, 20


Dr. Lars Weinbrenner und Elisa Leipold
Keine wirksame Betriebsvereinbarung ohne Beschluss des Betriebsrats
in: Betriebsrat und Recht 2022, 450-454


Dr. Lars Weinbrenner und Katharina Warczinski
Verfall, Verjährung und Befristung – aktuelle Rechtsprechung zum Urlaubsrecht
in: Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht 2022, 246-249

Die Beiträge können über die Autoren unter ihrer Emailadresse angefordert werden.

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲

Kontakt

* Partner

Düsseldorf

Bahnstraße 16
D-40212 Düsseldorf
Tel.: 0211/300 43-0
Fax: 0211/300 43-499
duesseldorf@schwegler-rae.de

Lorenz Schwegler*
Felix Laumen*
Yvonne Reinartz*
Dr. Michael Schwegler*
Dr. Alexander Metz, LL.M.*
Simone Rohs

Peter Berg
Dr. Herbert Grimberg
Christian Mertens
Stefan Dieker
Christina Neumann, LL.M.

Berlin

Unter den Linden 12
D-10117 Berlin
Tel.: 030/440 137-0
Fax: 030/440 137-12
berlin@schwegler-rae.de

Michael Merzhäuser*
Heike Merzhäuser*
Dr. Sascha Lerch*
Dr. Lars Weinbrenner*
Sebastian Kolb
Hans-Otto Umlandt

Dario Dell’Anna
Patrick Kessler*
Katharina Warczinski
Dr. Nicolai Culik
Elisa Leipold
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin

Frankfurt am Main

Berliner Straße 44
D-60311 Frankfurt am Main
Tel.: 069/21 65 99-0
Fax: 069/21 65 99-18
frankfurt@schwegler-rae.de

Dr. Michael Bachner*
Peter Gerhardt*
Ariane Mandalka
Ingolf Schumacher


Oldenburg

Am Festungsgraben 45
D-26135 Oldenburg
Tel.: 0441/38 03 89 8-0
Fax: 0441/38 03 89 8-99
oldenburg@schwegler-rae.de

Hajo A. Köhler*
Ralf Trümner*
Jürgen Oehlmann
Anna-Lena Trümner
Jörn Arne Broschat, LL.M.


München

Maximilianstraße 54
D-80538 München
Tel.: 089/23 23 629-0
Fax: 089/23 23 629-69
muenchen@schwegler-rae.de

Dr. Michael Schwegler* (Zweigstelle)
Michael Merzhäuser* (Zweigstelle)


Wissenschaftliche Berater:

Prof. Dr. Wolfgang Däubler
Prof. Dr. Bernhard Nagel

▲ zum Inhaltsverzeichnis ▲