Ausgabe 2/2024

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,


in unserer Rubrik „Ein-Blick“ befassen wir uns mit der praxisrelevanten Frage, ob die Arbeitgeberin ihrer Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genügt, wenn sie dem Betriebsrat ein Einsichtsrecht in die mithilfe eines Softwareprogramms digital eingereichten Bewerbungsunterlagen einräumt.


Um die Voraussetzungen für eine außerordentliche Verdachtskündigung eines Betriebsratsvorsitzenden geht es in der Rubrik „Betriebsräte“. Die Arbeitgeberin hatte beantragt, die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung zu ersetzen. Kernfrage in dem vom Landesarbeitsgericht Hamm zu entscheidenden Fall war, ob der für den Ausspruch einer beabsichtigten Verdachtskündigung erforderliche und von der Arbeitgeberin darzulegende dringende Verdacht der Pflichtverletzung vorlag.


Auch in der Rubrik „Arbeitnehmer“ befassen wir uns mit der der Arbeitgeberin in einem Arbeitsgerichtsverfahren obliegenden Darlegungs- und Beweislast. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte dabei zu klären, ob die Darlegungs- und Beweislast, die bei Zweifeln an der Erfüllung der Arbeitspflicht grundsätzlich die Arbeitgeberin trägt, auch bei Arbeitsleistung im Homeoffice gilt.


Im „Kurzüberblick“ haben wir weitere für die Betriebsratsarbeit praxisrelevante Gerichtsentscheidungen aus dem individuellen und kollektiven Arbeitsrecht zusammengestellt.


Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre des Newsletters.


Eure/Ihre
schwegler rechtsanwälte

Inhalt

Ein-Blick

Mitbestimmung bei Einstellung: Digitales Leserecht hinsichtlich der Bewerbungsunterlagen ausreichend?
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Betriebsräte

Verdachtskündigung eines Betriebsratsvorsitzenden
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Betriebsräte

Kurzüberblick über Entscheidungen

  • Nicht erforderliche Betriebsratskosten – 
    keine Verrechnung mit Lohn         

  • Virtuelle Betriebsratssitzung – Zurverfügungstellung der erforderlichen Technik 

  • Unterlassungsanspruch bei Behinderung 
    der Betriebsratsarbeit

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Arbeitnehmer

Den Arbeitgeber trifft die primäre Beweislast für die behauptete Nichtleistung von Arbeit auch bei Home-Office
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Arbeitnehmer

Kurzüberblick über Entscheidungen

  • Arbeitgeberin darf Rot als Farbe der Arbeitsschutzhose vorschreiben

  • Schadensersatz aufgrund verspäteter Zielvorgabe

  • Abmahnung: Arbeitgeber muss Zeugen beim Namen nennen und einen möglichen Konflikt hinnehmen

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Impressum

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Ein-Blick

Mitbestimmung bei Einstellung: Digitales Leserecht hinsichtlich der Bewerbungsunterlagen ausreichend?


I. Einleitung 

Gem. § 99 Abs. 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat vor jeder personellen Maßnahme (Einstellung, Umgruppierung oder Versetzung) umfassend zu unterrichten und ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen. In welcher Form die Unterrichtung erfolgen muss, ist zwischen den Betriebsparteien des Öfteren umstritten. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt stellt sich die für die Praxis hoch relevante Frage, ob dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen noch in Papierform zur Verfügung gestellt werden müssen oder die Möglichkeit eines digitalen Leserechts im Rahmen eines zu nutzenden Recruiting-Programms genügt. 


II. Wortlaut des § 99 BetrVG – Funktionales Verständnis des BAG 

In einer aktuellen Entscheidung hielt das BAG es für ausreichend, dass der Betriebsrat mittels eines Leserechts in einem Recruiting-Programm sowohl die Unterlagen des Bewerbers als auch der nicht berücksichtigten Bewerber einsehen konnte (BAG, Beschluss vom 13.12.2023 – 1 ABR 28/22). Durch das den Betriebsratsmitgliedern am Laptop eingerichtete digitale Leserecht in die durch das Recruiting-Programm verwalteten Bewerbungsunterlagen hat der Arbeitgeber nach Ansicht des BAG seine Verpflichtung nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG erfüllt. Die Betriebsratsmitglieder konnten jederzeit die im Recruiting-Programm hinterlegten Anschreiben und Lebensläufe sowie – sofern übermittelt – Zeugnisse und Zertifikate aller Bewerber um die Stelle einsehen. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, dem Betriebsrat die Unterlagen in Papierform zur Verfügung zu stellen. Dies ergebe schon die Auslegung von § 99 Abs.1 S.1 BetrVG. Unter Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses seien als „Unterlagen“ laut BAG alle Interessenbekundungen und Daten zu verstehen, die von den Bewerbern übersandt werden. In welchem Format diese eingereicht bzw. vorgelegt würden, sei für die spätere Auswahlentscheidung unerheblich. 


III. Kein Datenschutzverstoß 

Datenschutzrechtliche Erwägungen führen laut BAG ebenso zu keinem anderen Ergebnis. Das digitale Leserecht des Betriebsrats beschränkt sich im Entscheidungsfall auf die Bewerbungsunterlagen, die – wenn sie physisch vorhanden wären – dem Betriebsrat in dieser Form hätten überlassen werden müssen. Die darin liegende Datenverarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 DS-GVO i. V. m. § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG erforderlich, da sie der Erfüllung einer in § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorgesehenen Pflicht dient (BAG, Beschluss vom 13.12.2023 – 1 ABR 28/22; ebenso ausführlich dazu BAG, Beschluss vom 09.05.2023 – 1 ABR 14/22). 


IV. Anmerkung

Die Auffassung des BAG überzeugt, da sie verdeutlicht, dass sich auch Themen, die einen Bezug zur digitalen Transformation aufweisen, durch die Anwendung der bewährten Auslegungsmethoden sinnvoll lösen lassen. 

Neben der Tatsache, dass die Ansicht der Vorinstanz (LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22) und weiterer Landesarbeitsgerichte (vgl. beispielhaft LAG Köln, Beschluss vom 15.05.2020 – 9 TaBV 32/19) bestätigt wurde, wird die Entscheidung ebenso eine erneute Prüfung der Arbeitgeber hervorrufen, ob – die Nutzung eines Recruiting-Programms unterstellt – dem Betriebsrat ausreichende Leserechte gewährt werden.

Da bisher lediglich gerichtliche Entscheidungen bezüglich des Verfahrens nach § 99 BetrVG vorliegen, bleibt abzuwarten, ob die vom BAG und verschiedenen Landgerichten angestellten Erwägungen auch für andere Beteiligungsrechte (z. B. § 102 BetrVG, § 17 Abs. 2 KSchG) herangezogen werden, die gesetzlich ebenso eine „Vorlage der erforderlichen Unterlagen“ vorsehen. 


V. Praxishinweise

In der Praxis versuchen Arbeitgeber – völlig zu Unrecht –, dem Betriebsrat Einsicht- und Leserechte in Recruiting-Programme zu verweigern. Eine (Rahmen-)Vereinbarung zu dem jeweiligen Recruiting-Programm sollte daher in jedem Fall geschlossen werden. 

1. Sicherung Zugriffsrechte/Leserechte
  
Im Rahmen einer Vereinbarung ist hinsichtlich des Zugriffs auf die Bewerbungsunterlagen – insbesondere aufgrund im jeweiligen Recruiting-Programm hinterlegten Löschfristen – darauf zu achten, dass dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen zumindest für die Dauer eines eventuell durchzuführenden Zustimmungsersetzungsverfahrens zur Verfügung stehen. Hierfür hat der Arbeitgeber Sorge zu tragen. 

2. Ggf. „Betriebsratsrolle“ im System

Zur Gewährleistung der Leserechte und weitergehender Rechte kann je nach System – sofern arbeitgeberseits akzeptiert – auch eine sog. „Betriebsratsrolle“ erstellt werden, mit der der Betriebsrat direkt in das Recruiting-Programm eingebunden wird und Zugriff auf für ihn wichtige Auswertungen, wie z. B. Neueinstellungen, erhält. 

3. Leserecht bzgl. weitergehender Unterlagen
 
Ebenso sollte sichergestellt sein, dass die Bewerbungsunterlagen bei Bewerbungen in Recruiting-Programmen auch weitere elektronische Unterlagen (sogenannte Recruiting-Bewertungen, Rankings oder anderweitig digital erstellte Bewertungen) umfassen. Auch diesbezüglich ist dem Betriebsrat zumindest ein Leserecht einzuräumen. 

4. Begrenzung des Leserechts
 

Letztlich steht es dem Arbeitgeber allerdings frei, das Leserecht auf die erforderlichen Unterlagen zu begrenzen. Unterlagen oder Bewertungen, die für den konkreten Auswahlprozess nicht von Bedeutung sind, müssen sinngemäß nicht vorgelegt bzw. bereitgestellt werden.

Stefan Dieker, Düsseldorf

Stefan Dieker

Düsseldorf

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Betriebsräte

Verdachtskündigung eines Betriebsratsvorsitzenden

LAG Hamm, Beschluss vom 10.05.2024 – 12 TaBV 115/23

Ohne den dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung gibt es keine Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Verdachtskündigung eines Betriebsratsmitglieds.


I. Sachverhalt

Der Arbeitgeber, ein Bielefelder Maschinenbauunternehmen, verdächtigte den Betriebsratsvorsitzenden, seine Arbeitszeiten unzutreffend dokumentiert und so einen Arbeitszeitbetrug begangen zu haben. Dem Arbeitgeber sei durch die unrechtmäßige Vergütung von Überstunden ein Vermögensschaden entstanden. Der Arbeitgeber beabsichtigte, dem Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich wegen des Verdachts einer schweren Pflichtverletzung zu kündigen und bat hierzu gem. § 103 Abs. 2 BetrVG den Betriebsrat um seine Zustimmung. Der Betriebsrat erteilte die Zustimmung nicht, woraufhin der Arbeitgeber das Arbeitsgericht anrief und die Zustimmungsersetzung beantragte. 


II. Entscheidung

Das Arbeitsgericht Bielefeld ersetzte die Zustimmung zur außerordentlichen Verdachtskündigung und ging dabei davon aus, dass ein dringender Tatverdacht einer schweren Pflichtverletzung durch eine falsche Dokumentation der Arbeitszeiten vorlag. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hob das Landesarbeitsgericht Hamm den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld auf und wies den Antrag des Arbeitgebers ab. Das Landesarbeitsgericht Hamm sah zwar Verdachtsmomente, der dringende Verdacht einer Pflichtverletzung, den es für den Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung braucht, sei jedoch nicht gegeben. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hamm waren auch andere Geschehensabläufe denkbar, die zu einer falschen Dokumentation der Arbeitszeiten geführt haben können.


III. Rechtliche Bewertung

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat sich in der vorliegenden Entscheidung noch einmal mit den Voraussetzungen einer außerordentlichen Verdachtskündigung und der Zustimmungsersetzung gem. § 103 Abs. 2 BetrVG auseinandergesetzt. Eine Verdachtskündigung ist eine besondere Form der Kündigung, die als Reaktion auf ein schweres Fehlverhalten des Arbeitnehmers ausgesprochen wird. Anders als bei der regulären Tatkündigung kann bei einer Verdachtskündigung die schwere Pflichtverletzung nicht bewiesen werden, es liegen jedoch erdrückende Verdachtsmomente vor. Diese erdrückenden Verdachtsmomente können einen eigenen Kündigungsgrund darstellen. Es ist also der Verdacht, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses führt (BAG vom 28.11.2007 – 5 AZR 952/06). Dieser Verdacht muss dringend sein, d. h. es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung begangen hat. Bloße, auf reine Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus. Das Landesarbeitsgericht Hamm sah vorliegend weitere Geschehensabläufe für möglich, die wiederum den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht rechtfertigen würden. Somit fehlt es an der Dringlichkeit des Verdachts.


IV. Fazit

Die Entscheidung stellt noch einmal dar, dass nicht jeder anfängliche Verdacht für eine Verdachtskündigung ausreicht. Die vermeintlich für den Arbeitgeber erleichterte Kündigung (auch gegenüber Betriebsratsmitgliedern) wird nicht selten durch die Gerichte für unwirksam erklärt, weil es – wie auch hier – an der Dringlichkeit des Verdachts mangelt. Die Hürden für eine Verdachtskündigung sind und bleiben hoch. Nicht zuletzt wird durch den Instanzenzug deutlich, dass es bei einer Verdachtskündigung sehr stark auf die vollständige und erschöpfende Würdigung aller verdachtsbegründenden Umstände ankommt. 

Simone Rohs, Düsseldorf

Simone Rohs

Düsseldorf

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Betriebsräte

Kurzüberblick über Entscheidungen

Nicht erforderliche Betriebsratskosten – 
keine Verrechnung mit Lohn
         
BAG, Urteil vom 25.10.2023 – 7 AZR 338/22

Erfüllt der Arbeitgeber eine ihm gegenüber als Kosten betriebsrätlicher Tätigkeit erhobene (Dritt-) Forderung, kann er keinen Regress bei den Betriebsratsmitgliedern nehmen mit dem Argument, er habe mangels Erforderlichkeit der Kosten deren Schuld getilgt. Die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag und des Bereicherungsrechts greifen insoweit nicht ein. Die Frage der Freistellung des Betriebsrats von Rechtsanwaltskosten ist im Beschlussverfahren zu klären.

Gem. § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Hierzu können auch Honorarkosten eines Rechtsanwalts gehören, dessen Hinzuziehung der Betriebsrat im Vorfeld einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung für erforderlich halten durfte, um seine betriebsverfassungsrechtlichen Rechte durchzusetzen. Neben der Erforderlichkeit muss die Beauftragung des Rechtsanwalts auf einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss beruhen. Selbst wenn es an Letzterem fehlt, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, den Lohn des Betriebsratsmitglieds um das gezahlte Anwaltshonorar zu kürzen.


Virtuelle Betriebsratssitzung – Zurverfügungstellung der erforderlichen Technik 
LAG München, Beschluss vom 07.12.2023 – 2 TaBV 31/23

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber zur Ermöglichung der Teilnahme seiner Mitglieder an Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz die Überlassung von einem Tablet oder Notebook je Betriebsratsmitglied verlangen, sofern die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BetrVG vorliegen.

Nach § 40 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfang u. a. sachliche Mittel sowie Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung zu stellen. Nach § 30 Abs. 2 BetrVG darf die Teilnahme an Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz u. a. dann erfolgen, wenn der Betriebsrat die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt hat.


Unterlassungsanspruch bei Behinderung 
der Betriebsratsarbeit

LAG Düsseldorf, Beschluss vom 30.08.2023 – 12 TaBV 18/23

Dem Arbeitgeber ist es untersagt, die Betriebsratsarbeit dadurch zu behindern, dass er die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an einer angezeigten Betriebsratssitzung bereits im Vorfeld durch Androhung von Abmahnungen oder Verdienstkürzungen verhindert.

Die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an den einzelnen Betriebsratssitzungen ist deren betriebsverfassungsrechtliche Pflicht. Dies gilt auch dann, wenn im Einzelfall die Erforderlichkeit für eine Betriebsratssitzung nicht gegeben ist oder aber ein Verstoß gegen § 30 S. 2 BetrVG – die Verständigung des Arbeitgebers vom Zeitpunkt der Sitzung – vorliegt. Ist die Betriebsratssitzung im Einzelfall offensichtlich unzulässig, ist der Arbeitgeber auf den Rechtsweg verwiesen. Er kann im Wege der Feststellung eines groben Verstoßes im Sinne von § 23 Abs. 3 BetrVG vorgehen oder mittels einstweiliger Verfügung die Untersagung der Betriebsratssitzung erwirken. 

Dr. Nicolai Culik, Berlin

Dr. Nicolai Culik

Berlin

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Arbeitnehmer

Den Arbeitgeber trifft die primäre Beweislast für die behauptete Nichtleistung von Arbeit auch bei Home-Office

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.09.2023 – 5 Sa 15/23

Die Parteien stritten über die Zahlung von restlichem Arbeitsentgelt, die Abgeltung von Urlaub und insbesondere über die Rückzahlung von Arbeitsentgelt für Zeiten im Home-Office wegen angeblicher Nichterfüllung der Arbeitspflicht. Nach ständiger Rechtsprechung trägt grundsätzlich der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welchem Umfang der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht erfüllt hat. Ob dies auch bei Arbeitsleistungen im Home-Office gilt, war vorliegend vom LAG Mecklenburg-Vorpommern zu beurteilen.


I. Sachverhalt

Die klagende Arbeitnehmerin war bei der beklagten Arbeitgeberin als Pflegemanagerin und leitende Pflegefachkraft in der Tagespflege bzw. der ambulanten Pflege beschäftigt. Die Beklagte betreibt eine Tagespflegeeinrichtung sowie eine Einrichtung des betreuten Wohnens. Der Klägerin war es gestattet, im Home-Office zu arbeiten. Die Arbeitszeiten waren monatlich in einer vorgegebenen Tabelle nach Arbeitsbeginn und Arbeitsende zu erfassen. In der Zeiterfassung für die Monate Dezember 2021 bis einschließlich März 2022 trug die Klägerin insgesamt 300,75 Stunden Home-Office und eine Gesamtarbeitszeit von 722 Stunden ein. Die Klägerin hatte insbesondere die Aufgabe, das bei der Beklagten verwendete Qualitätshandbuch und andere für das Pflegemanagement erforderliche Unterlagen zu überarbeiten. Ab dem 29.03.2022 war die Klägerin aufgrund eines Arbeitsunfalls krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 16.05.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.05.2022. Nach dessen Beendigung forderte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von ausstehendem Arbeitsentgelt für die Monate April und Mai 2022 sowie die Abgeltung von Resturlaub. Die Beklagte begehrte ihrerseits widerklagend die Rückzahlung des Bruttolohns für 300,75 Arbeitsstunden im Home-Office in Höhe von insgesamt 7.112,75 €. Dabei führte sie an, dass die Klägerin Arbeitszeiten im Home-Office von insgesamt 300,75 Stunden angegeben habe, ohne irgendeinen objektivierbaren Arbeitsnachweis hierfür vorzulegen. Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen und die Widerklage abgewiesen.


II. Entscheidung

Die Berufung der Beklagten hatte nur in geringem Umfang Erfolg. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied unter anderem, dass die Klägerin nicht zur Rückzahlung von Arbeitsentgelt verpflichtet sei, weil es an einer entsprechenden Forderung der Beklagten gegen die Klägerin fehle.

Die Gehaltszahlungen für die Monate Dezember 2021 bis März 2022 beruhten vollumfänglich auf dem sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Vergütungsanspruch der Klägerin (§ 611a Abs. 2 BGB). Das gelte auch für die Arbeitszeiten im Home-Office.

Grundsätzlich trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welchem Umfang der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht erfüllt hat. Auf den entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers habe der Arbeitnehmer sodann substantiiert zu erwidern. Das gelte auch bei Arbeitsleistungen im Home-Office.

Die Beklagte habe jedoch nicht dargelegt, in welchem Umfang die Klägerin im Home-Office ihre Arbeitspflicht nicht erfüllt und keine Arbeitsleistungen erbracht hat. Die Beklagte habe weder eine Nichtleistung im Umfang von 300,75 Stunden noch in geringerer Anzahl belegt. Vielmehr habe die Klägerin im Home-Office verschiedene Arbeitsleistungen erbracht, was sich insbesondere aus E-Mails ergebe, die die Klägerin an solchen Tagen an die Beklagte oder an dort Beschäftigte versandt hat. Soweit den E-Mails Anlagen beigefügt waren, ließen diese auf weitere vorangegangene Arbeitsleistungen schließen. Unerheblich sei, ob die Klägerin die Arbeiten in der gewünschten Zeit oder in dem gewünschten Umfang erledigt hat. Ein Arbeitnehmer genüge seiner Leistungspflicht, wenn er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat die Revision zum BAG nicht zugelassen.


III. Praxishinweis

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gilt im Arbeitsverhältnis der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Verlangt der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung für Arbeitsleistungen, hat er deswegen darzulegen und – im Bestreitensfall – auch zu beweisen, dass er Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen hat, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt (z.B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EntgFG).

Da jedoch die konkret zu leistende Arbeit in der Regel vom Arbeitgeber durch Weisungen zu bestimmen ist (§ 106 GewO), genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, er habe sich zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgehalten, um Arbeitsanweisungen seines Arbeitgebers zu befolgen.

Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber dann im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substanziiert erwidern. Deswegen hat der Arbeitgeber im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und ob der Arbeitnehmer den Weisungen nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substanziiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden.

Nach der Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern gelten diese Grundsätze uneingeschränkt auch bei Arbeit im Home-Office.

Vorname Nachname (Autorin ohne Bild), Ort

Dominik Heidinger

München

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Arbeitnehmer

Kurzüberblick über Entscheidungen

Arbeitgeberin darf Rot als Farbe der Arbeitsschutzhose vorschreiben
LAG Düsseldorf, Urteil vom 21.05.2024 - 3 SLa 224/24

Wie schon das Arbeitsgericht Solingen (Urteil vom 15.3.2024 – 1 Ca 1749/23) entschied das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, dass eine Arbeitgeberin aufgrund ihres Weisungsrechts Rot als Farbe einer Arbeitsschutzhose vorschreiben darf. Da vorliegend das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nur in der weniger bedeutenden Sozialsphäre betroffen ist, genügen für die Rechtmäßigkeit der Weisung berechtigte Gründe wie z.B. die Arbeitssicherheit (bessere Sichtbarkeit) oder die Wahrung einer Corporate Identity in den Werkshallen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.


Schadensersatz aufgrund verspäteter Zielvorgabe
LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024 - 4 Sa 390/23

Anders als Zielvereinbarungen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt wird. Unterlässt der Arbeitgeber pflichtwidrig und schuldhaft eine Zielvorgabe, so ist dieses in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. Dies gilt auch dann, wenn die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betrifft.

Die Revision zum BAG ist zugelassen.



Abmahnung: Arbeitgeber muss Zeugen beim Namen nennen und einen möglichen Konflikt hinnehmen
ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2024 - 7 Ca 1347/23

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt, dass Arbeitnehmer die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen können. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Die genaue Bezeichnung eines Fehlverhaltens erfordert dabei einerseits, dass der Arbeitgeber den der Abmahnung zugrundeliegenden Sachverhalt konkret darlegt und andererseits, dass er konkret erklärt, aus welchem Grund er das Verhalten des Arbeitnehmers für pflichtwidrig hält. Dabei müssen sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientieren, was der Arbeitgeber wissen kann.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine Abmahnung nach Auffassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf inhaltlich unbestimmt, wenn in der Abmahnung Zeugen für das vorgeworfene Fehlverhalten, die dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt waren, in der Abmahnung nicht namentlich benannt werden. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientieren, was der Arbeitgeber wissen kann (s. o.), ist die Abmahnung nicht hinreichend konkretisiert. Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung dient die Konkretisierung unter Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, überprüfen zu können, ob die Abmahnung inhaltlich richtig ist oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen erfüllen diese Anforderung nicht. Einen etwaigen Konflikt zwischen dem abgemahnten Arbeitnehmer und den Zeugen hat ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraut, hinzunehmen.

Ariane Mandalka, Frankfurt

Ariane Mandalka

Frankfurt/Main

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